Während des Viertelfinales Deutschland – Spanien war im Theater tri-bühne der ebenfalls live gespielte Opernfilm »Gianni« nach Puccinis Einakter »Gianni Schicchi« zu sehen. Ute Harbusch und Petra Heinze haben sich für’s Theater entschieden und dabei gewonnen.
Ute Harbusch: Liebe Petra, wenn in Operninszenierungen auch mit Film gearbeitet wird, weiß ich meist gar nicht, wo ich hingucken soll. Ging es Dir bei »Gianni« jetzt genauso?
Petra Heinze: Nein, gar nicht. Die Filmprojektion war dominanter als die Szene auf der Bühne. Dort passierte etwas in zwei Zimmern, die von unsichtbarer Hand hin- und hergeschoben wurden, aber meist in Ecken, die nicht einsichtig waren. Der Film offenbarte dafür verborgene Dinge in Großaufnahme und machte uns zu Voyeuren. Wie hat Dir dieses Cross-Over gefallen und hast Du echte Sänger:innen vermisst?
Ute Harbusch: Ich habe mich glänzend amüsiert. […]
mehrWährend des Viertelfinales Deutschland – Spanien war im Theater tri-bühne der ebenfalls live gespielte Opernfilm »Gianni« nach Puccinis Einakter »Gianni Schicchi« zu sehen. Ute Harbusch und Petra Heinze haben sich für’s Theater entschieden und dabei gewonnen.
Ute Harbusch: Liebe Petra, wenn in Operninszenierungen auch mit Film gearbeitet wird, weiß ich meist gar nicht, wo ich hingucken soll. Ging es Dir bei »Gianni« jetzt genauso?
Petra Heinze: Nein, gar nicht. Die Filmprojektion war dominanter als die Szene auf der Bühne. Dort passierte etwas in zwei Zimmern, die von unsichtbarer Hand hin- und hergeschoben wurden, aber meist in Ecken, die nicht einsichtig waren. Der Film offenbarte dafür verborgene Dinge in Großaufnahme und machte uns zu Voyeuren. Wie hat Dir dieses Cross-Over gefallen und hast Du echte Sänger:innen vermisst?
Ute Harbusch: Ich habe mich glänzend amüsiert. Abgesehen davon, dass Puccini da eine herrliche, vielschichtige Komödie komponiert hat, schienen auch die Darsteller:innen ihren Spaß zu haben. Sie mussten ja zur gesamten Oper die Lippenbewegungen der Sänger:innen nachahmen. Kann mir vorstellen, dass das Vergnügen macht. Und sie durften, grade für die Close-ups, ganz schön übertrieben chargieren. So konnten sie sich schauspielerisch voll ausleben und für den perfekten Soundtrack sorgten währenddessen Tito Gobbi und das Orchestra Del Teatro Dell‹Opera Di Roma. Eine Win-win-Situation. Aber war die Geschichte nicht ein bisschen retro? Immerhin stammt die verwendete Gobbi-Aufnahme aus den 50ern.
Petra Heinze: Vielleicht retro und brandaktuell zugleich? Es war ja eine Koproduktion mit ungarischen Künstler:innen und Ungarn gilt als das korrupteste Land der EU. Die erotisierende Wirkung von Geld und die Gier danach stand im Mittelpunkt des Geschehens. Dass besagter Gianni Schicchi bei Puccini den gierigen Verwandten das Geld ihres Verstorbenen für die Zukunft eines Liebespaars trickreich entwendet, spielt in dieser Inszenierung keine Rolle. Schicchi ist genauso schlecht wie die übrigen Protagonisten, nur ein wenig schlauer …
Ute Harbusch: Am Ende stopft er noch einen Geldschein in die Wunde des Herrn, der vom Kruzifix in der Ecke aus alles mitbekommen hat. Aber eine Höllenfahrt – der Kern des Stücks stammt aus Dantes »Inferno« – ist in unseren säkularen Zeiten keine echte Bedrohung mehr. Gergely Váradi, der Darsteller des Gianni, war für mich die stärkste Figur, eine Mischung aus Freddie Mercury und Francisco d‹Andrade als Don Giovanni in Slevogts »Champagnerlied«. Er ist, wie auch der Regisseur Dániel Máté Sándor und zwei weitere Darsteller:innen, Teilnehmer des Mentorenprogramms der tri-bühne. Sie arbeitet gezielt mit Künstler:innen zusammen, die Ungarn verlassen mussten und im Rahmen eines Emergency-Exit-Programms ihr Studium im Ausland abschließen konnten, in diesem Fall am Salzburger Mozarteum. Kommt da die aktuelle Wirklichkeit doch noch um die Ecke? Auch ästhetisch?
Petra Heinze: Die Ästhetik war sehr trashig und erinnerte mich an frühe Filme von John Waters mit Divine aus den 70er Jahren, in denen die Darsteller:innen sehr übertrieben agierten und zahlreiche Tabubrüche das Establishment schockieren sollten. Ein gewisser Ekelfaktor spielte eine große Rolle und wurde bei »Gianni« ebenfalls mit widerlichen Essmanieren und Ähnlichem genüsslich herausgekitzelt.
Ute Harbusch: Das Übermächtige, Abstoßende des Körperlichen ist ja, manchen Theorien zufolge, der Kern der Komödie. Und wirkt in so einer gefilmten Nahaufnahme noch viel ekliger, als es auf einer Theater- oder Opernbühne möglich wäre. Der Film konnte auch sonst noch so einiges leisten, zum Beispiel mit geteiltem Bildschirm zwei Szenen gleichzeitig zeigen oder – die Aufnahme muss aktuell reinmontiert worden sein – die Fußball-Fanmeile als Hintergrund reinholen. Ist hier ein neues Genre erfunden worden?
Petra Heinze: Solche Ansätze gibt es schon seit den Performances der 60er Jahre, aber das war mehr Bildende Kunst und es ist ganz wunderbar, dass es solche Experimente zwischen den Genres nun in der tri-bühne zu sehen gibt!
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