Onkel Wanja

Szenen aus dem Landleben in vier Akten
von Anton Tschechow |
Regie: Edith Koerber

»Die Menschen sind mit Klugheit und Talent gesegnet, um zu vermehren, was ihnen geschenkt wurde, aber statt etwas hervor zu bringen, zerstören sie nur. Die Wälder werden weniger, die Flüsse trocknen aus, die Tiere sterben, das Klima verschlechtert sich, und mit jedem Tag wird die Erde ärmer und hässlicher.«

Anton Tschechow lässt seinen Dr. Astrow diese Sätze sprechen und könnte damit kaum aktueller sein. Doch natürlich ist Tschechow nicht nur ein prophetischer Dramatiker, als großer Psychologe setzt er seine Figuren immensen Spannungsfeldern aus: hochwogende Emotionen, amouröse Verwicklungen, Sehnsüchte nach dem sinnhaften Leben und eruptierende Leidenschaften einerseits und große Ent-Täuschungen sowie jähe Abstürze in die Banalitäten des Alltags andererseits verwebt Tschechow zu einer großartigen Komödie der Verzweiflung.

Premiere am Mittwoch, dem 5. November 2008.
Die Aufführungsrechte liegen beim S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main.

Kritiken

Stuttgarter Nachrichten | 7.11.2008

Überzeugendes Ensemble

»…tri-bühne-Chefin Edith Koerber (Regie und Bühne) findet für den melancholischen Ton der «Szenen aus dem Landleben» den stimmigen szenischen Ausdruck der farb- und freudlosen Existenz ihrer Figuren. Überall auf dem Gut herrscht Grau und erdschweres Braun. Auch bei den Kostümen von Renáta Balogh. Sie verweisen auf ein Leben, das zwischen Häkeldeckchen und Schaukelstuhl vom Gestrigen bestimmt wird – und vom notorischen Griff zur Wodkaflasche als Seelentröster.

Regisseurin Koerber beobachtet genau, wie Tschechows Menschen sich in jahrelanger ungestillter Sehnsucht nach einem Du verbraucht haben. Wie sich im Alkoholnebel plötzlich müdes Gefühlsfeuer am falschen Gegenüber entzündet, um ebenso schnell wieder in Lethargie zu verlöschen. Sie hängt als unsichtbares Netz chronischer Resignation über den Protagonisten. Das lähmt sie oder lässt sie hilflos in ihrem Scheitern zappeln. Die Aussichtslosigkeit, irgendwann das Glück auf dieser Welt zu finden, hat alle wie ein Virus befallen.

Welche Macht, so fragen Regie und Ensemble überzeugend, zwingt diese rätselhaften Menschen, ihr Leben ständig auf ein unbestimmtes Morgen zu verschieben.

Was bindet eine junge, ätherisch damenhafte Frau wie Elena (gespielt von Natascha Beniashvili-Zed) an ihren Mann, den hypochondrischen Literaturprofessor Serebrjakow (Rainer Suter), wo sie doch den Arzt Astrow (Cornelius Nieden) liebt? Und warum betäubt Wanja (Folkert Milster) seine angebliche Liebe zu Jelena nur mit Tränen und reagiert die Wut auf den schmarotzenden Serebrjakow mit einem Pistolenschuss ab, der lediglich eine Gießkanne trifft? Aus dem entstandenen Loch versprudelt der Lebensquell Wasser – ein symbolisches Bild verfehlten Lebens.«

Horst Lohr
Esslinger Zeitung | 7.11.2008

Szenische Lebendigkeit und emotionales Rollenspiel

»…Man blickt in der Stuttgarter tri-Bühne auf die Breitseite des Landguts der Wojnizkis und Serebrjakows, und die von Edith Koerber mit liebevollem Realismus zusammengetragenen Details wie auch die Kostüme Renáta Baloghs zeigen eine gewisse Nähe zur Entstehungszeit von Tschechows ›Onkel Wanja‹…

Edith Koerber schält in ihrer Inszenierung die einzelnen Facetten dieser Lebensleere mit szenischer Lebendigkeit heraus… [Sonja] wünscht sich ein Leben mit dem Landarzt Astrow, an dessen Ideale sie glaubt, während er sie längst verloren hat. Cornelius Nieden spielt diesen öfters betrunkenen, doch glasklaren Zyniker mit trauriger Melancholie. ›Langweilig, blöde, dreckig‹ ist für ihn das Leben «inmitten lauter Halbverrückter», Sonjas Gefühle kann er, unfähig geworden zur Liebe, nicht erwidern – «das einzige, was mich noch berührt, ist Schönheit». Die bewundert er in Elena, doch sie spürt Astrows Unschlüssigkeit und die eigene Angst vor Leidenschaft und Hingabe. Wie Nieden und die grandiose Natascha Beniashvili-Zed dieses emotionale Rollenspiel nuanciert darstellen, ist kunstvoll und spannend anzusehen.

Die von Tschechow grotesk in Szene gesetzte Katastrophe wird in der tri-Bühne turbulent ausgespielt. Wanja, der zuvor seinen Hass auf Serebjakow mit Holzhacken abreagiert hat, greift zur Pistole und schießt zweimal daneben. Rainer Suter als egomanischen Professor bringt auch das nicht aus der Ruhe, doch bei seiner Abreise werden die Beziehungsfäden zwischen Elena, Astrow und Sonja gekappt. Ihr Schlusswort ist verzweifelte Melancholie: ›Was sollen wir tun, wir müssen leben…‹«

Dietholf Zerweck