Empfänger unbekannt

von Kressmann Taylor |
Regie: Edith Koerber

»Ich habe nie auf weniger Seiten ein größeres Drama gelesen. Diese Geschichte ist meisterhaft, sie ist mit unübertrefflicher Spannung gebaut, in irritierender Kürze, kein Wort zuviel, keines fehlt. Ohne Umschweife werden exemplarische Lebensgeschichten erzählt, wird Zeitgeschichte dokumentiert.«
(Elke Heidenreich in ihrem Vorwort zur Buchausgabe »Adressat unbekannt«.)

San Francisco, Ende 1932: Die beiden deutschen Emigranten Max Eisenstein und Martin Schulze sind mit einer Galerie zu beachtlichem Wohlstand gekommen. Martin entschließt sich, in die alte Heimat zurückzukehren, um von dort aus das Geschäft noch besser laufen zu lassen. Er bezieht ein Schloss in der Nähe von München und gehört zur High Society der Stadt.

Mit den politischen Ereignissen in den nächsten eineinhalb Jahren lernt Max ganz neue Seiten seines Freundes kennen, und eine Geschichte voller dramatischer und überraschender Wendungen entspinnt sich.

Kressmann Taylors dramatisierter Briefroman, der 1938 in der amerikanischen Zeitschrift »Story« erstmals erschien und auf ein überwältigendes Echo stieß, wird als Taschenbuch in Deutschland immer wieder neu aufgelegt.

Premiere am 29. April 2003.
Die Aufführungsrechte liegen beim Per H. Lauke Verlag, Hamburg.

Kritiken

Stuttgarter Zeitung | 25.1.2006

Den Nerv getroffen

Zu unserem Gastspiel in Tel Aviv im Januar 2006:

»Eingeladen vom Cameri-Theater, einem der wichtigsten Häuser in ganz Israel, zeigte die Truppe um Edith Koerber an zwei Abenden ihre Inszenierung von ›Empfänger unbekannt‹… Es liegt in der Logik der Sache, dass die tri-bühne just mit diesem auf einem Briefroman von Kressmann Taylor basierenden Drama in Israel gastiert. ›Im Land der Opfer wächst dem Stoff um Treue und Verrat eine andere Brisanz zu als im Land der Täter‹, sagt Edith Koerber.

Dass die Intendantin mit dieser Feststellung Recht hat, lässt sich allein schon an der Kartennachfrage ablesen. Im Nu sind beide Vorstellungen ausverkauft. Und beide Vorstellungen treffen auch den Nerv des Publikums: Nach jeweils anderthalb Stunden kann das fünfköpfige, im Vorfeld durchaus nervöse tri-bühne-Ensemble im Applaus derer baden, die überlebt haben.

Atemlos verfolgen die Zuschauer, darunter viele Jeckes, also Israelis deutscher Herkunft, die exemplarisch zu verstehende Geschichte von ›Empfänger unbekannt‹… Diese Geschichte mit der überraschenden Wendung lässt eine dunkle Epoche wieder aufleben, sie wühlt in den Erinnerungen der Zuschauer, die sich in dem hoffnungslos überfüllten Theatersaal versammelt haben. Das dürfte der eine Grund für den überwältigenden Erfolg des Gastspiels sein. Der andere ist schlichter, wiegt aber gleichfalls schwer: Es ist die Liebe zur deutschen Sprache, die noch immer in den Herzen der Jeckes steckt und sie scharenweise in die Aufführung treibt… Und sollte doch jemand Verständigungsschwierigkeiten haben, dann werden sie von der äußerst klaren Inszenierung schnell beiseite geräumt, dieser präzisen Komposition aus Text und Bild, Licht und Bewegung, Musik und Geräusch.«

Roland Müller
Stuttgarter Nachrichten | 2.5.2003

Emotionales Erlebnis

»Auf der Bühne präsentiert sich eine mit wenigen Requisiten auskommende Szenerie: An einer langen Tafel sitzt Martin, ihm gegenüber Max. Hier Deutschland, dort Amerika. Ein Kalender notiert den Lauf der Zeit. Hinter einem Gaze-Vorhang spielt Elsa (Julia Bardosch), die Frau Martins, Cello, begleitet harmonisch die freundschaftlichen Briefe und intoniert die späteren Misstöne.

So entspinnt sich die Geschichte einer Freundschaft auf Distanz; Kressmann Taylors Roman und Koerbers Inszenierung zeigen ihre prägnanten Stationen. Brief um Brief, vom Absender in freier Rede rezitiert, vom Empfänger mimisch und gestisch kommentiert, wird die Freundschaft zur Tragödie – und zum Spiegel einer maroden Gesellschaft. Martin verleugnet Max und eignet sich Hitlers Rassenideologie an.

Die letzten Szenen erschüttern. Angst, Rache, Verzweiflung kulminieren – von den Akteuren hautnah ins Publikum transportiert. Koerbers Inszenierung ist ein emotionales Erlebnis. Sie beschränkt sich aufs Wesentliche, lässt Raum zum Denken und gibt uns Zeit, in die Welt von Max und Martin einzutauchen…«

Eva Maria Schlosser
Stuttgarter Zeitung | 2.5.2003

Viel Sinn für Atmosphäre

»›Adressat unbekannt‹ nennt sich der Briefroman von Kressmann Taylor, der 1938 in einer amerikanischen Zeitschrift erschien und kürzlich als Taschenbuch in Deutschland herausgekommen ist.

Die Tri-Bühne hat den Text ausgewählt für ihre erste Premiere im neuen Domizil, dem Theaterhaus auf dem Pragsattel. Die Intendantin Edith Koerber hat inszeniert – und sie tut es wie immer mit viel Sinn für Atmosphäre und stimmungsvolle Momente…

Kressmann Taylor führt vor, wie leicht der Schritt vom Pazifisten zum Nazi gewesen sein muss. Ein beeindruckender Text, der das politische Klima, die wirtschaftliche Lage, die Situation des Individuums präzise benennt und seine Spannung aus der Entwicklung der Ereignisse bezieht. Die tri-bühne hat mit Talent und Lust den Prosatext auf die Bühne gebracht…«

Adrienne Braun
Südwestdeutscher Rundfunk | 30.4.2003

Keine Sekunde langweilig

»Vernissage-Geplapper auf der Bühne. Es werden Häppchen gereicht, Musik gespielt… Gut 10 Minuten dauert das lockere Spiel, ehe sich die Zuschauer endlich auf ihre Plätze begeben dürfen. Ein witziger, ein unkonventioneller und ein cleverer Einstieg in ein Stück, das noch so viel Dramatik und Intensität entwickeln wird…

Wider die Anpassung schreit dieses Stück, das auf ein kleines, wunderbares Büchlein von Kathrine Kressmann Taylor zurückgeht. 1938 in New York mit großem Erfolg erschienen – eine Geschichte in 18 Briefen und einem Telegramm, eine Geschichte, die von der Illusion einer Freundschaft erzählt, von Opportunismus und Feigheit. Ekelhaft und doch so furchtbar simpel. Eine Stunde und 20 Minuten dauert der Briefdialog auf der Bühne. Keine Sekunde davon ist langweilig.«

Silke Arning