Die Affäre Rue de Lourcine

von Eugène Labiche |
Regie: Cyrus David

In einem »Vaudeville-Cauchemar«, einer Alptraum-Farce, lässt Labiche seine Protagonisten agieren: Lenglumé und Mistingue, zwei mehr oder weniger gesetzte Bürger, erwachen nach durchzechter Nacht ohne jegliche Erinnerung an das Vergangene, von heftigsten Kopfschmerzen gepeinigt. Dann aber beginnt erst der Alptraum: Eine Reihe von Indizien bringt sie zur festen Überzeugung, in der Nacht einen grässlichen Mord begangen zu haben. Und ihre verzweifeltes Bemühen um Vertuschung und Aufrechterhaltung ihrer bürgerlichen Fassade führt sie schnurstracks zur Planung weiterer Untaten. Was wie ein Thriller klingt, ist hingegen höchst amüsant: Wendet sich doch, dem Genre Vaudeville sei es geschuldet, am Ende alles zum Besten. Oder?

»Ich habe mich fast ausschließlich dem Studium des Bourgeois gewidmet; dieses Tier bietet dem, der es sehen kann, zahllose Möglichkeiten, wenn man versteht, ihn zu beobachten. Dieses Tier ähnelt einer Perle, einem Schmuckstück der Tollheit.« (Eugène Labiche)

Premiere am Samstag, dem 4. März 2006.
Die Aufführungsrechte liegen beim Rowohlt Theaterverlag, Reinbek bei Hamburg.

Kritiken

Stuttgarter Zeitung | 7.3.2006

Abgründige, schwarze Komödie

»›Die Affäre Rue de Lourcine‹ ist eine Komödie, aber eine abgründige, eine schwarze Komödie, deren versöhnlicher Schluss nur äußerlich versöhnlich ist. Immhin waren zwei Männer, die fälschlicherweise meinen, im Suff einen Mord begangen zu haben, tatsächlich bereit zu morden, um ihr Verbrechen zu verbergen. Der Irrtum klärt sich auf, aber an der potenziellen Bereitschaft zur Missetat ändert das nichts. Labiche stellt dem Bürger seiner Epoche ein jämmerliches Bild aus.

Weil niemand seinem Gegenüber die Wahrheit ›in‹s Gesicht‹ (!) sagt, weil der Zuschauer sie aber erfahren muss, wird das Beiseitesprechen bei Labiche scheinbar inflationär eingesetzt. Es stellt fast ununterbrochen einen Widerspruch her zwischen dem Dialog und dem (laut) Gedachten. Heuchelei und falscher Schein sind die Basis des gesellschaftlichen Verkehrs, den Labiche ebenso komisch wie scharfsinnig karikiert.

In der tri-bühne beweisen Cornelius Nieden als Lenglumé und Folkert Milster als sein Saufkumpan Mistingue ihre ausgesprochen komische Begabung. Bernhard Linke als Diener Justin sieht aus wie ein Mitglied der Addams Family, und man traut ihm weit Schlimmeres zu als den Diebstahl von Tabak…«

Thomas Rothschild
Stuttgarter Nachrichten | 6.3.2006

Wohlverdienter Beifall

»Die Zeitungen melden es schwarz auf weiß: Mord! – In der Rue de Lourcine hat eine Kohlenhändlerin den letzten Schnaufer getan. Zeugen haben zwei Männer am Tatort beobachtet. Zwei Beweisstücke blieben zurück: ein Regenschirm mit Affenkopf und ein Taschentuch mit Monogramm. Und dann haben zwei verkaterte Männer in der Wohnung des Bürgers Oscar Lenglumé ein schweres Erwachen. Beschert wird es in der tri-bühne von Eugène Labiche, dessen Stück ›Die Affäre Rue de Lourcine‹ dort von Cyrus David inszeniert wurde…

So liebte Labiche sein Personal: Biedermänner, verwirrt bis zu Mordgelüsten, die Kleider derangiert, alle sichtbaren Haare gesträubt, aber die lockeren Zungen stets am Nachbarn wetzend; die Damen dieser Spießer meist in Unwissenheit gehalten, wenn sie nicht gerade mit kleinen Intrigen den losen Sitten ihrer Männer Paroli bieten.

An der Spielschar der tri-bühne hätte Labiche seine Freude gehabt. Madame Lenglumé (Regina Lebherz), Vetter Potard (Tobias Strobel) und der leicht widerborstige Diener Justin (Bernhard Linke) taten seinem Stück alle Ehre an. Und Cornelius Nieden als Lenglumé und Folkert Milster als Mistingue waren die Spießer, denen der Franzose Labiche nicht nur aufs Maul, sondern auch unter Zylinder und Perücke schaute, um dann mit deren Wortschatz und Gedankengut Schindluder zu treiben.

Am possierlichsten wird diese Posse, wenn alle so tun, als wäre ihnen Gesang gegeben. Was Elfriede Jelinek, die Übersetzerin des Stückes, hier an Liedgut unters Volk streut, von Dietrich Lutz musikalisch unterstützt, hat schon etwas Diabolisches an sich. Aber da dieses Mordsstück doch noch harmonisch endet, war der stramme Beifall wohlverdient.«

Otto Kuhn