Der Vater eines Mörders

Eine Schulgeschichte
von Alfred Andersch, für die Bühne bearbeitet von Géza Révay |
Regie: Edith Koerber

Haben Sie Lust auf Griechisch? Auf Altgriechisch, natürlich? Dann besuchen Sie eine Schulstunde an einem Münchner Gymnasium, ein paar Jahrzehnte zurück in der Zeit! Sie brauchen keine Bedenken zu haben, denn Ihre Leistungen werden nicht benotet, Ihr Verhalten nicht beurteilt. Ganz anders ergeht es allerdings den Schülern, die nichts zu lachen haben und zu deren Zeuge Sie werden.

Sie als Zuschauer können sich hingegen unbeschwert auf Schönheit und Logik der altgriechischen Grammatik einlassen, den genial strukturierten Ursprung der europäischen Literaturen überhaupt.

Jedoch:

Franz Kien und seine Mitschüler erleiden eine Unterrichtsstunde bei Herrn Himmler, Gymnasialdirektor, Altphilologe, großbürgerlicher Katholik und Vater Heinrich Himmlers, des späteren Reichsführers der SS. Am Ende steht die Frage: Schützt die humanistische Bildung denn vor gar nichts?

Alfred Anderschs letzte, gleichnamige und autobiografisch gefärbte Erzählung erschien posthum 1980. Sie gilt als politisches sowie literarisches Vermächtnis eines der wichtigsten Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur. Unsere Dramatisierung dieses Werkes ist eine Uraufführung.

Kritiken

Stuttgarter Zeitung | 29.4.2012

Interessante Konstruktion

»Die Konstruktion des kurzen Abends ist interessant. Nicht nur Kien, erfrischend und überzeugend von Marcus Michalski gespielt, steigt immer wieder aus der Rolle aus, kommentiert die Szene und erzählt von seiner Familie, sondern am Rand sitzt noch Norbert Beilharz als Andersch und übernimmt ebenfalls Passagen des Prosatextes. Der Abend ist zugeschnitten auf Maarten Güppertz als der alte Himmler, der sich berauscht an seiner eigenen Bildung und ganze Passagen auf Griechisch vorträgt… Kien alias Andersch war fasziniert wie abgestoßen von dem alten Humanisten, der von Griechen und Barbaren, freien Menschen und Sklaven schwadronierte, aber trotzdem kein Antisemit war, weshalb der Sohn den Kontakt zum alten Himmler abbrach.«

Adrienne Braun