Das Gewitter

von Alexander Ostrowskij |
Regie: Edith Koerber

Ostrowskijs »Das Gewitter« ist ein Stück der starken Gefühle und unversöhnlichen Konflikte. In zwei Frauengestalten begegnen sich konservative eiserne Moral und todesverachtender Freiheitsdrang, als hätte der russische Autor des 19. Jahrhunderts die von Federico García Lorca beschriebene Welt vorweggenommen. Doch er schaffte eine wichtige weitere Figur, die immer eine humane Möglichkeit aufzeichnet, die aber leider – so ist nun einmal die Realität – nicht ergriffen wird.

Der merkwürdige Kauz Kuligin, Erfinder und Phantast, ein wenig Narr, ein wenig der abgeklärte weise Mann, führt uns in die Welt der russischen Kleinstadt an der Wolga ein. Und obwohl er vieles voraussieht, kann er den tödlichen Konflikt zwischen der Kaufmannsfrau Kabanowa und ihrer Schwiegertochter Katerina nicht verhindern. Bei aller Tragik des Stoffes macht jedoch wichtige Elemente das Drama lebensnah: Kauzigkeit, Humor und skurrile Figuren. Nicht umsonst wird Ostrowskij der »russische Molière« genannt.

Das Stück spielt in einer russischen Kleinstadt.

Premiere am Mittwoch, dem 14. März 2001.

Kritiken

Stuttgarter Nachrichten | 16.3.2001

Poetische Bilder

»Rückständige russische Provinzkaufleute bestimmen rücksichtslos über das Wohl ihrer Mitmenschen. Grenzenlose Selbstgerechtigkeit, abgeleitet aus langer despotischer Tradition und die Folgen: eine Generation der Unreifen, unfähig zu selbstbestimmtem Leben.

Regisseurin Edith Koerber hat sie mit feinen Pinselstrichen porträtiert und für ihre hilflosen Befreiungsschläge eine Fülle poetischer Bilder gefunden.

Bis auf zwei hölzerne Gartenbänke leer ist Csörsz Khells schwarze Bühne. Ein dunkler Korridor verliert sich im Nichts – weit und breit kein Ort der Zuflucht vor der Tyrannei der Kabanowa. Kathrin Hildebrand im matronenhaft langen Schwarz spielt sie als eine Frau wie aus Stein gemeißelt. Ihr Ton schneidet messerscharf ins Fleisch. Der Griff ins Genick des Sohnes: das Packen eines Karnickels. Sebastian Sommerfelds Tichon paart die Unterwürfigkeit des Hundes mit der Hilflosigkeit des kleinen Jungen, der sich gegen die Übermacht der Erwachsenen zu wehren versucht, indem er sie nachäfft…

Katerina (Gunda Schanderer) zeigt die Atemlosigkeit einer Fremdbestimmten, die ihrer Sehnsucht nach Freiheit hinterherhechelnd sich als verheiratete Frau in ein Liebesabenteuer stürzt, es gleichzeitig als Todsünde erleidet. Wie eine Ertrinkende klammert sie sich an Wilhelm Schnecks Boris, auch er ein Schwärmer und Zauderer, bei dem sich jungenhaftes Feuer mit fehlender Durchsetzungsfähigkeit verbindet…«

Horst Lohr
Stuttgarter Zeitung | 16.3.2001

Sinnlich erlebbar

»Ostrowskij war ein guter Dialogschreiber. Die Wortgefechte sind wie rasselnde Degenduelle, die Sätze scharf wie Sushimesser, sodass die Konfrontationen prall gefüllt sind mit schaurigen Aggressionen und die Figuren zugleich bis in die tiefsten Abgründe der Seele bloßgelegt werden…

Koerber haucht dem Stoff Leben ein, erzählt ihn mit Poesie, erfindet Situationen, die weit über das Stück hinausgehen. Hier wird nicht ein Theatertext arrangiert, sondern sinnlich erlebbar gemacht. Ein Gespräch unter Männern mit protzigem Gehabe – bei Koerber springen sie plötzlich in Badehosen und rennen ins Wasser, albern wie Buben, voller Sehnsucht nach Freiheit. Die erste Begegnung zwischen den Liebenden – in der tri-bühne ringen sie mit einer Schaukel, die sie fast stranguliert, weil sie nicht wissen, wie die Gefühle ausdrücken.

Die Bühne von Csörsz Khell ist ein fulminanter Griff. Nach hinten öffnet sie sich in die Ferne, hin zum Wasser, in einer geschlossenen Wand taucht plötzlich ein Zimmer auf, das Gefängnis der traurigen Katerina. Auch die Besetzung ist bestechend. Gunda Schanderer als romantische Katerina, die domestizierte Schwiegertochter, deren Leidenschaft aus jedem Wort ihrer sinnlich-timbrierten Stimme hallt. Jennifer Frank spielt die Warwara so euphorisch und liebenswert, dass man Hoffnung bekommt, die rigide Moral werde eines Tages doch ein Ende haben. Und Wilhelm Schneck als Neffe ist ein schwächlicher Geselle, der Liebe hingegeben, aber letztlich doch dem Diktat des Onkels folgend.«

Adrienne Braun
Südwestdeutscher Rundfunk | 15.3.2001

Elektrisch hoch aufgeladen

»Die Bühne ist schwarz und hat viele Abgründe. Eine Seelenlandschaft also. Finsterste Bigotterie herrscht im Haus der Tugendtyrannin Kabanowa (Kathrin Hildebrand); wütende Schikanen machen das Haus des Kaufmanns Dikoi (Alexej Boris) zur Hölle. Es gibt nur zwei Oasen, auf die ein warmes Licht fällt: das magische Wägelchen des immer friedliebenden Bastlers Kuligin und – eine Schaukel…

Das Gewitter entlädt die überspannten Gefühle… Aber, so zeigt Ostrowskij, das Gewitter reinigt nichts, die Blitze beleuchten nur grell die verkümmerten Seelen. Edith Koerber hat in ihrer Inszenierung eben dieses Grelle bis an die Grenze der Karikatur getrieben – etwa in der Figur des feigen Ehemanns Tichon (Sebastian Sommerfeld). Aber das ungeheuerliche Parlando des Dichters und die hohe spielerische Qualität des ganzen Ensembles rechtfertigen ihre elektrisch hoch aufgeladene Regie.«

Winfried Roesner