Woyzeck

Woyzeck

von Georg Büchner |
Regie: Edith Koerber

Das vor 160 Jahren geschriebene Stück ist einer der Klassiker der deutschen Literatur – und nur vordergründig eine einfache Eifersuchts- und Kriminalgeschichte. Was diese Tragödie so besonders macht, das sind die politischen und sozialen Fragestellungen, die Büchners Figuren auf eine sehr modern anmutende und bannende Weise transportieren.

Zum Inhalt: Der Füsilier Franz Woyzeck fristet sein kümmerliches Dasein in einer kleinen Garnisionsstadt. Zur Aufbesserung seines Soldes verdingt er sich als menschliches Versuchskaninchen für einen skrupellosen, nur an seinen Experimenten interessierten Arzt. Für seinen Hauptmann, einen Schmalspurphilosophen, ist er ein lächerlicher Laufbursche. Nur die Liebe zu seiner Lebensgefährtin Marie und ihrem gemeinsamen Kind gibt ihm Halt in seiner trostlosen Welt.

Zugleich ist Woyzeck ein beeindruckender und ungewöhnlicher Mensch. »Vergeistert« sei er, klagt Marie. Das bedeutet zweierlei. Woyzeck hat Visionen, die sich vor die Wirklichkeit schieben. Und er philosophiert, reflektiert, was Wirklichkeit ist. »Wir arme Leut… ich glaub’, wenn wir in Himmel kämen, so müßten wir donnern helfen.« – das ist eine seiner eindrücklichen Quintessenzen. Als Marie sich in ein rauschhaftes Verhältnis mit einem Tambourmajor stürzt, bricht die Barriere, die Woyzeck vom Wahnsinn trennt, in sich zusammen und er begeht einen grausamen Akt der (Selbst-)Zerstörung.

Premiere am Freitag, dem 23. Juni 1995.

Kritiken

Stuttgarter Nachrichten | 27.6.1995

Immenses Tempo

»Ecce Homo – ›Sehn Sie, der Mensch!‹, brüllt der Jahrmarktsbudenschreier in Csörsz Khells perspektivisch gebautem Bühnenbild… Und vorgeführt wird Woyzeck, den Stephan Korves als verschüchterten, abgemagerten und viel zu großen Jungen spielt. Einen, der immer gut ist für einen Scherz… Verlacht, zerschunden und im wahrsten Sinne des Wortes überrannt von den Ereignissen liegt er nicht nur einmal am Boden… Mit immensem Tempo und geradezu federhafter Leichtigkeit überwindet Edith Koerbers brillante ›Woyzeck‹-Inszenierung alle Klippen, die die locker und von Géza Révay neu gefügte Szenenfolge des Büchner-Fragments für die Bühnendarbietung stellenweise unwägbar machen könnten… In der tri-bühne dominiert die Geschichte der Menschen, die allesamt hineingeworfen in den ›umgestürzten Hafen Welt‹, das Schicksal Woyzecks auf ihre eigene Weise widerspiegeln: Mit einer Marie (Hannelore Bähr), die ihre unreflektierten Gefühle zugunsten einer trotzigen Resignation beiseite schiebt, einem sadistischen Medicus (Günther Seywirth) und einem sentimental vereinsamten Hauptmann (Joachim Bräutigam), dem schon lange keiner mehr zuhört.

Hier kämpft jeder ums Überleben: Die jugendliche Hure ebenso wie das ziellos durch die Welt irrende Kind; mit Soldatenstiefeln bestückt der potentielle Mörder von morgen. Der ›Starke‹ wird hier zur grotesken Erscheinung, der Tambourmajor (Cornelius Dane) zum Wesen einer anderen Welt.

Denn diese Welt ist ein taumelnder Jahrmarkt (Musik: Dietrich Lutz), aus dem man nur allzu leicht herausgeschleudert wird. Ein Narr (Wilhelm Schneck) und ein Vagabund (Achim Grauer) sind die augenfälligsten Opfer dieses Bluttaumels. Sie alle werden uns vorgeführt gemäß dem Motto: Was ist das, was in uns mordet, stiehlt, lügt? Die Antwort muß jeder selbst finden. Die sehenswerte tri-bühnen-Inszenierung jedenfalls gibt genügend Anstöße zum Nachdenken.«

Hanna Mainzer
Stuttgarter Zeitung | 26.6.1995

Welttheater

»Auf einer karg, aber geschickt ausgestatteten Bühne aus zwei Wänden… entwickelt sich ein äußerst schnelles und reichhaltiges Spiel, ein Welttheater, in dem keiner zur Ruhe kommen darf. Ein Graben in der Mitte ist der Abgrund, den es zu überspringen gilt, in den die Menschen stürzen, in dem sie sich besudeln, aus dem Marionetten auftauchen, deren Spiel und Sang die Welt bedeutet.«

Hannelore Schlaffer
Süddeutscher Rundfunk | 24.6.1995

Packend vom Anfang bis zum Ende

»Gleich zu Beginn kommt ein Obdachloser, läßt zwei Sätze los… dann kommt Woyzeck… der Obdachlose äußert sich noch: ›Was ist der Mensch? Er ist nichts als Knochen, Staub, Dreck…‹. Damit haben wir den Tenor dieses Stückes und auch die Weltansicht vorgeführt bekommen. Dann kommt der Marktschreier… Schließlich eine Szene, die gar nicht vorgesehen ist, eine Kaserne. Auf diese Weise fügen sich die Hauptthemen nahtlos ineinander… Durch diese Verknüpfung wird der Zuschauer am Anfang gleich gepackt und bis ans Ende der eindreiviertel Stunden geschleift und nicht mehr von diesen wirklich dicht gedrängten Szenen losgelassen.«

Rainer Zerbst