Alkestis

Alkestis

von Euridipes |
Regie: Edith Koerber

Würden Sie für einen Menschen sterben – oder von einem Menschen erwarten, daß er für Sie in den Tod geht? Oder würden Sie wenigstens Ihre Niere hergeben für die Gesundheit eines anderen?

Für jemanden sein Leben zu geben – das ist eine Problematik, die die Menschen schon seit Jahrtausenden beschäftigt. So auch Euripides, der diese Frage 483 v.Chr. in seiner »Alkestis« thematisiert hat – ganz erstaunlicherweise in einer Form, die man so eindeutig weder einer Tragödie noch einer Komödie zuordnen kann. Eine Tragödie mit Happy End jedenfalls hatte das antike Publikum noch nicht zu sehen bekommen.

Zum Stück: Ein alter Frevel lädt einen Fluch auf König Admetos, der ihm den frühzeitigen Tod prophezeit – es sei denn, er fände einen Stellvertreter, der für ihn den Tod auf sich nimmt.

Admetos sucht lange und vergeblich, niemand ist bereit, für ihn dem Totengott Thanatos in dessen finsteres Reich zu folgen. Bis sich Alkestis, Admetos geliebte Ehefrau, bereit erklärt, für ihren Mann zu sterben.

Was sich dann am Totenlager der Alkestis zwischen den Zurückgebliebenen abspielt, ist an Pietätlosigkeit und Groteske kaum noch zu überbieten. Admetos, hin- und hergerissen zwischen Anklage, Rechtfertigung und Schuldgefühl, droht am Verlust seiner Frau seelisch zu zerbrechen.

Bis Held und Halbgott Herakles beherzt ins Geschehen eingreift und dem Schicksal ein Schnippchen schlägt.

Premiere am Freitag, dem 9. Oktober 1998.

Kritiken

Stuttgarter Nachrichten | 12.10.1998

Zeitgemäß

»Die junge Fürstin Alkestis beschließt, aus Liebe für ihren Gatten Admetos zu sterben. Dieser wurde durch den unergründlichen Ratschluß der Götter zum Tode verurteilt und gleichwohl mit der Möglichkeit bedacht, seinen eigenen Kopf mittels ›Stellvertreter‹ aus der Schlinge zu ziehen.

Da aber keiner freiwillig für ihn sterben will, übernimmt Alkestis die Aufgabe. Mit dem eindringlichen Appell an ihren Mann, sich keine neue Frau zu suchen…

Was haben also beide davon, den Ratschluß der Götter in die entgegengesetzte Richtung zu manipulieren? Nichts. Und hätte es damals keine Halbgötter gegeben, die ein Einsehen mit den Menschen hatten, wäre Euripides’ Tragödie wahrscheinlich im Wehgeheul des antiken Chores versunken. So aber taucht Herakles auf, entwindet Alkestis den Tiefen des Hades und führt sie justament dem Gatten zu, der die schöne Verhüllte weder erkennt noch verstößt. Romantisches Ende, grundsätzliche Läuterung oder programmierter Ehekrach?

In der tri-bühne, wo Edith Koerber ›Alkestis‹ in der zeitgemäßen Fassung von Géza Révay zeitgemäß inszeniert hat, hängt am Ende lediglich der Haussegen schief. Turboschief…

Und was bleibt? Keine Antworten, keine Fragen, auch kein Spiel mit dem Tod. Sondern eine sehr kurzweilige Komödie über das Leben. Über unser Leben, das sich so sehr mit sich selbst beschäftigt, daß es den Gedanken an den Tod verdrängt.«

Hanna Mainzer
Südwestdeutscher Rundfunk | 10.10.1998

Glänzend gemeisterter Parcours

»Robert Atzlinger (Admetos) wird an diesem Abend ein mimischer Eiertanz abverlangt. Hinter jedem Liebesblick für die beste Ehefrau der Welt lauert sein schlechtes Gewissen. Das Gewissen wiederum beruhigt er mit dem Hinweis auf die Staatsraison: das Land braucht mich, den König. Als König muß er Haltung heucheln, die er als selbstverschuldeter Witwer nicht hat. Und dann hört er immer noch mit einem Ohr aufs Volk, dem er sich kaum aufs Maul zu schauen traut. Atzlinger schafft die emotionalen Fallen und Fußangeln dieses Parcours glänzend. Er kann ergriffen sein wie ein sentimentaler Hund – und ebenso falsch. Ein Politiker eben. Was nur beweist, wie politisch die Stücke des Euripides waren und sind.

Man könnte die Groteske weiter treiben, als Edith Koerber sich traut. Aber sie behält gern einen Fuß auf vertrautem klassischen Boden, zumindest in der Liebes- und Todesgeschichte. Individuelle Freiheiten räumt sie dem famosen kleinen Chor ein. Der sitzt gern im Publikum – da ist man doch gleich in der Masse – kaut ein Butterbrot, streitet sich auch schon mal, gibt wohlfeile Ratschläge und legt Blumen am Palast ab wie beim Tod von Lady Di.

Völlig frei und wie in einem anderen Stück läßt Koerber erst Herakles reagieren, eine Paraderolle für Wilhelm Schneck. Er kriegt seine fernsehgerechte Auftrittsmelodie und einen Riesenschneebesen als Keule. Die schwingt er wie ein antiker Rambo, tanzt wie Alexis Sorbas, legt sich die Flötistin des Abends über die Schulter und läßt keinen Zweifel daran, daß er Herrn Thanatos, den Tod persönlich, an Alkestis Grab k.o. schlagen wird – ein Held der Spitzenklasse, wie ihn die moderne Textfassung Géza Révays ankündigt. Mit Herakles-Schneck kriegt das Stück dann doch noch die satirische Wendung, die griechische Zuschauer vor 2500 Jahren erwarteten. In der tri-bühne wirkt Herakles so (de)plaziert wie ein Shakespeare-Rüpel im ernsten Trauerspiel. Euripides selber deckt diesen Bruch in Koerbers Regie: Der alte Grieche zeigt boshaft gern am Ende seiner Stücke, wie gleichgültig den Göttern die Schmerzen der Menschen sind. Für Unglaubliches findet der Gott den Weg heißt es da. Platt übersetzt: Ätsch!«

Winfried Roesner