Drei Mal Leben

Drei Mal Leben

Trois versions de la vie
von Yasmina Reza |
Regie: Andor Lukáts

Eine Zimmerschlacht à la »Wer hat Angst vor Virginia Woolf«, ein Partykrieg der Pannen und Peinlichkeiten, Vorgesetzte gegen Untergebene, Ehepaare gegen Ehepaare, Männer gegen Frauen. Der Wein löst die Zunge, sexuelle Begehrlichkeiten, Animositäten, Kränkungen werden über die Bande gespielt. Yasmina Rezas neues Stück »Drei Mal Leben« beginnt wie ein hochelegantes großstädtisches Boulevardstück über zwei Mittelstandsehepaare aus dem akademischen Milieu; es ist tatsächlich die Fortschreibung von Albees »Virginia Woolf« aus dem Aufbruch der sechziger Jahre in die Jahrtausendwende der Nano-Biologen, Kernphysiker und Global-Manager, die Berufs-, Ehe-, Erziehungsprobleme haben, hinter denen das Problem ihrer Existenz lauert und vom Alkohol an die Oberfläche der Nacht gespült wird: Stunde der Lüge, der Wahrheit, Stunde der Trunkenheit, der Ernüchterung. »George und Martha, traurig, traurig«, einst bei Albee. Jetzt: Sonja und Henri, besucht von Hubert und Inès.

Wer aber ist Henri? Yasmina Rezas »Drei Mal Leben« bietet drei Versionen von Henris Leben an, alle drei gleich wahr und unwahr, alle drei total anders und doch fast gleich, alle drei mit der Frage beschäftigt, ob es ein richtiges Leben im falschen Leben gibt und ob Beziehungen (das heißt: der contrat social des Berufs, der Gesellschaft, der Ehe, der Familie) nicht jedes Leben zum falschen macht. Rezas Stück ist in einem geradezu traumhaft sicheren Gleichgewicht zwischen Satire, Ironie, Wahrheit und tieferer Bedeutung.
(Hellmuth Karasek, Tagesspiegel Berlin)

Premiere am Donnerstag, dem 19. Juli 2001.
Die Aufführungsrechte liegen bei der Theaterverlag Desch GmbH, München.

Kritiken

KULTUR | 1.9.2001

Rundum gutes Theater

»›Drei Mal Leben‹: und immer das gleiche Wohnzimmer, ausgestattet mit einem Sofa, zwei Sesseln und drei Ventilatoren… Csörsz Khells Einfall, die Rückwand des Zimmers von den beiden Seitenwänden so zu trennen, dass sie umrundet werden kann, wird in der auf Parodie und Tempo getrimmten Aufführung von allen genutzt. Wilhelm Schnecks Henri, von Ehefrau, Kind und missgünstigem Kollegen dreifach an die Leine gelegt, braucht den Auslauf, der ihn für Sekunden aus dem Gesichtsfeld der anderen verschwinden lässt. Rainer Suter als Hubert Finidori vereint alle Eigenschaften eines Ranghöheren: schiefe Kopfhaltung, exhibitionistisches Fläzen und Mampfen, eine ruhige Hand beim Umgang mit der Giftspritze. Edith Koerber als Inès und Kathrin Hildebrand als Sonja sind Antipoden. Die Freiheiten, die sie sich leisten-Inès besäuft sich und spielt mit Seifenblasen, Sonja lässt Hubert an sich ran, bevor sie ihn fertigmacht-entpuppen sich als situationsabhängig von Mann und Tätigkeit. Rundum gutes Theater.«

Gabriele Hoffmann
Stuttgarter Nachrichten | 21.7.2001

Ehekrieg

»Groß ist die Heiterkeit bei den Zuschauern in der tri-bühne, wenn zu Beginn der Aufführung ein unsichtbares Kind quengelt und sich seine Eltern um die Frage streiten, ob es nach dem Zähneputzen noch einen Keks oder eher einen Apfel essen darf. Doch der boulevardesk harmlose Disput über Erziehung erweist sich rasch als Endphase eines Ehekriegs, der nur noch ein Ziel kennt: den anderen zu vernichten. Ohnmächtige Wut blitzt in Henris Augen, in Sonjas Stimme schwingt Eiseskälte. Sekunden später explodieren beider Hasstiraden in handfester Prügelei…

Nach ihrem Bühnenrenner ›Kunst‹ ist Yasmina Reza mit ›Drei Mal Leben‹ wieder eine hintersinnige Komödie voll geschliffener Dialoge gelungen, hinter deren Banalität die Dramatikerin der Frage von Macht und Ohnmacht in Beziehungen nachspürt.

Die von Reza vorgesehenen drei Versionen des Abends mit den beiden Paaren in jeweils neuen Konstellationen zeigt der ungarische Regisseur Andor Lukáts als ungebremsten Fall in den Zynismus. Henri und seine Frau Sonja kultivieren ihren Hass in der Trübnis einer plüschig grauen Wohnlandschaft (Bühne: Csörsz Khell). Im Zentrum des Geschehens: Drei Ventilatoren, die während der Spielvarianten einer nach dem anderen zu rotieren beginnen, bis ihr gemeinsam erzeugter Wind auch den letzten Rest an Liebe verweht hat…

Regisseur Lukáts zeigt ein Ränkespiel, bei dem die Ehepartner einander erniedrigen und wie die Hyänen übereinander herfallen. Hemmungslos fläzt sich Hubert (Rainer Suter) als eine Spur zu vulgärer Macho ins Sofa. Ganz selbstverständlich macht er sich an Kathrin Hildebrands Sonja, die kühl kalkulierende Karrierefrau, heran. Und Henri (Wilhelm Schneck), der gekonnt zwischen Unterwürfigkeit und Aggressionsausbrüchen Schwankende, hat wenig dagegen. Besonders differenziert Edith Koerbers Inès: Im halbseitig verlängerten Designer-Kleid (Kostüme: Györgyi Szakács) taucht sie auf der Flucht vor den Demütigungen ihres Mannes im Laufe der drei Versionen immer tiefer in die Welt des Weins ab…«

Horst Lohr
Stuttgarter Zeitung | 21.7.2001

Amüsant und bitter

»›Drei Mal Leben‹ nennt sich das jüngste Stück der französischen Erfolgsautorin. Jetzt hatte es Premiere in der tri-bühne und meint Leben in der dritten Potenz und zugleich drei Spielarten einer Begegnung: Chef und Gattin kommen zu Besuch, einen Tag zu früh. Wobei das nicht einmal das Schlimmste wäre, auch wenn das Knabberzeug nicht reicht.

Hubert wird an diesem Abend verkünden, dass ein anderer Henris Forschungen zuvorgekommen ist. Eine bittere Botschaft: drei Jahre Arbeit werden zu Makulatur, die Hoffnung auf eine wissenschaftliche Karriere ist perdu. Katzbuckeln? Nicht mehr nötig. Höflichkeiten? Wozu noch? Yasmina Reza lässt die Fassade des Anstands bröckeln, erst vorsichtig, dann immer hemmungsloser…

Das Theater kennt diese alltäglichen Kriege-Molière, Fassbinder, Albee, Mamet. Yasmina Rezas Spielart ist amüsant, bitter und vor allem sorgfältig konstruiert. Ihr genügen wenige Motive: wissenschaftliche Arbeit, Verhältnis zwischen Hubert und Sonja, verzogener Sohn-sowie einige Begriffe: Appetithäppchen, Keks, Wohnung. Bausteine, die sie immer wieder neu zusammensetzt und dabei verblüffende, neue Perspektiven mit dem identischen Spielmaterial erzielt…

Andor Lukáts, der ›Drei Mal Leben‹ in der tri-bühne inszeniert hat, setzt auf das Parodistische des Texts, um das Publikum zu belustigen, auf die fiesen Bemerkungen, die sich die Figuren um die Ohren hauen… Ein kurzweiliger Abend, durchaus, weil es schließlich kaum Amüsanteres gibt als Szenen einer Ehe.«

Adrienne Braun
Esslinger Zeitung | 21.7.2001

Hochkarätige Groteske

»Als halbwegs rettende, nie ganz glückende Überlebenskunst ist konsequente Inkonsequenz dem Leben selbst abgekupfert, das niemals eindeutig ist. Und deshalb lässt Yasmina Reza dieselbe Handlung drei Mal spielen – variantenreich und mit verschobenen Gewichten, aber gleichen Konstellationen. Ein Stück weit erinnert damit das Stück, das Andor Lukáts im Stuttgarter Theater tri-bühne inszenierte, an den Film ›Lola rennt‹. Nur setzt es hier statt wechselnder Showdowns jedesmal realistisch schale Debakel…

Andor Lukáts hat das als dreifältig variierende Komödie der Peinlichkeiten mit kammerspielhafter Präzision und wohldosiertem Witz inszeniert – ein Simulationsspiel der eitlen Begierden und der allseits durchschauten, doch zielorientiert befolgten Konventionen. Am allerpeinlichsten ist in solcher Situation die Wahrheit, und die ist weiblich: Hubert will eigentlich nur Sex mit Sonja, und deshalb faucht Rainer Suter die schöne blonde Kathrin Hildebrand an wie ein Torero seine Carmen. Suter zeigt den mächtigen Herrn der Wissenschaftsringe als aalglatten Zyniker, der en passant seine Gattin demütigt, als ob sich Inès (würdevoll verkracht: Edith Koerber) nicht ohnehin als alkoholgefährdetes Heim- und Herd-Dummchen sehen würde. Die Rache der Frauen ist besagte Wahrheit, und deren Vollstrecker müsste Henri sein: Sonja, eine erfolgreiche Juristin, macht Lächelkrampfmiene zum bösen Spiel, doch dann munitioniert sie den Gemahl mit allen Verbalwaffen gegen Hubert. Henri (Wilhelm Schneck) aber, der als einziger mit offenen Karten spielt – er will eben ›nur‹ seinen beruflichen Aufstieg -, emanzipiert sich erst langsam vom widerlichen Übervater Hubert…

Mit brillanten Dialogen hat Reza dieses authentisch geschärfte Spiel um ein altes Thema gewürzt: Im hohen Raum des Sozialprestiges herrschen infantilste Instinkte. In Csörsz Khells sinnigem Bühnenbild – einem grauen, labyrinthischen Wohnverschlag – wird eine hochkarätige Groteske daraus. Luft schaffen hier nur drei Ventilatoren, die mit den Erregungszuständen beschleunigt rotieren. Schneller, Propeller: Machtkämpfe sind Kinderspiele.«

Martin Mezger