Beben und beben lassen

Beben und beben lassen

von Behiç Ak |
Regie: Florian Dehmel | Stefan Kirchknopf

In einem Apartmenthaus in Istanbul kurz nach dem großen Erdbeben von 1999. Die Menschen sind in Panik. Sie warten auf das nächste verheerende Erdbeben, da sie schon ihr ganzes Leben in der Erbeben-Gefahrenzone gewohnt haben. Sie bereiten sich auf die Katastrophe vor. Der Ernst des drohenden Unglücks verkehrt sich jedoch ins komische und absurde Gegenteil, da die Menschen mehr und mehr mit der Regelung ihres banalen Alltags beschäftigt sind. Menschen, die sich mit nichts ernsthaft auseinander gesetzt, das Leben nicht hinterfragt und sich nach außen abgeschottet haben, die nur darauf aus sind, sich ökonomisch abzusichern und gerade dadurch ihren sozialen Halt verlieren.

Der in Istanbul lebende und in der Türkei äußerst populäre Autor, Regisseur, Journalist und Karrikaturist Behiç Ak zeichnet in seinen Stücken das Bild einer modernen türkischen Gesellschaft, die so gar nicht überkommenen Klischees vom Orient entspricht. Wir freuen uns, ihn mit einer tri-bühne-Inszenierung dem deutschen Publikum vorstellen zu können.

Deutschsprachige Erstaufführung am Freitag, dem 29. April 2005.
Aufführungsrechte liegen bei Behiç Ak.

»Beben und beben lassen« wurde während des Stuttgarter Europa Theater Treffens SETT 2004 in der Uraufführungsfassung vom Dostlar Tiyatrosu in der Inszenierung von Genko Erkal bei uns im Theater tri-bühne gezeigt.

Kritiken

Esslinger Zeitung | 3.5.2005

Der Stoff, aus dem Komödien sind

»Es ist der Stoff, aus dem Komödien sind: Mann und Frau sind seit 20 Jahren verheiratet und besitzen neben einer inzwischen erwachsenen Tochter eine Eigentumswohnung. Während sich die Frau von Idealfigur und Illusionen verabschiedet hat, geht ihr Mann fremd. Gleichwohl wiegt man sich im Wohlgefühl der vermeintlichen Sicherheit, spendet Kleider für die Erdbebenopfer im nur 200 Kilometer entfernten Katastrophengebiet. Bis plötzlich mehrere heftige Nachbeben nicht nur das schlampig errichtete Wohnhaus, sondern auch die Fassade der Gutbürgerlichkeit zum Einsturz zu bringen drohen.

Der Türke Behic Ak ist in seiner Heimat ein viel gespielter Theaterautor… Nun hat die tri-bühne sein Stück ins Deutsche übersetzen lassen und in der Inszenierung von Florian Dehmel und Stefan Kirchknopf unter dem Titel ›Beben und beben lassen‹ als deutschsprachige Erstaufführung gezeigt. Dabei scheint das bleistifthaft skizzierte Bühnenbild von Stephen Crane eine Schablone für die brüchige Schwarzweiß-Welt der Protagonisten zu sein: Diese Welt ist nicht nur völlig farb- und konturenlos, sondern unwirklich.

Trotzdem wirbeln die drei Akteure durch sie hindurch, als befänden sie sich auf einer knallbunten, mit Türen bespickten Boulevardbühne, und ziehen alle Register ihres komödiantischen Könnens: Sabine Niethammer als irrwitzige Gattin, die in ihrer bodenständigen Dauerpanik extrem komisch ist, Folkert Milster, dem es gelingt, dem Part des verlogenen Familienoberhaupts eine sehr westliche Souveränität und Eleganz zu verleihen, und schließlich Tobias Strobel, dem die Rolle des klaustrophobischen Nachbars Murat sichtlichen Spaß macht…«

Helga Stöhr-Strauch
Stuttgarter Nachrichten | 2.5.2005

Zerrbilder unserer Konsumgesellschaft

»Schreckensbilder von Katastrophen mit hunderttausenden von Opfern wie jüngst in Asien lassen weltweit Spenden fließen, schocken uns als Aufbegehren einer geschundenen Natur gegen hemmungslose Ausbeutung indes nur kurzzeitig.

In seinem Stück ›Beben und beben lassen‹ fokussiert der sarkastische Blick des türkischen Autors, Journalisten und Karikaturisten Behiç Ak in einem Istanbuler Mehrfamilienhaus die Befindlichkeit eines Ehepaares und seines Nachbarn, nachdem das schwere Beben des Jahres 1999 gerade vorüber ist und neue Erdstöße drohen. Die gallenbittere Farce gefiel bereits als Uraufführungsfassung beim letztjährigen Stuttgarter Europa Theater Treffen SETT, jetzt zeigt das Theater tri-bühne die deutschsprachige Erstaufführung des mühelos auf hiesiges Verhalten übertragbaren Porträts von Opportunismus und Dumpfsinn.

Durch einen Bilderrahmen gewährt Ausstatter Stephen Crane dem Zuschauer Einblick in ein tristes Wohnambiente. Hier quälen sich ›Frau‹ und ›Mann‹ seit zwanzig Jahren durch die Ödnis ihrer Ehe. Wie ein Katalysator wirkt die Furcht vor einem neuen Erdbeben und lässt die Fassade wohlanständiger Bürgerlichkeit wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen. In seinen Trümmern liegen die Zerrbilder unserer Konsumgesellschaft: gefühlskalte Egoisten, die einzig die Gier nach materieller Sicherheit beseelt. Auf turbulentes Bühnengeschehen und schrille Typisierung der Figuren setzen die Regisseure Florian Dehmel und Stefan Kirchknopf«

Horst Lohr