Die Baronin und die Sau

Die Baronin und die Sau

von Michael Mackenzie |
Regie: Florian Dehmel

Die gescheite »Kaspar-Hauser«-Variation von Michael Mackenzie beinhaltet alles notwendige für einen spannenden Theaterabend. »Die Baronin und die Sau« ist eine Komödie, eine Tragödie, ein Krimi, Erkenntnisphilosophie, Theater im Theater.

Es kommen z.B. vor: William Shakespeares »Julius Cäsar«, ein mürrischer Bühnentechniker, eine Opernarie, ein 16-teiliges Besteckservice (wovon das Vorlegemesser besondere Bedeutung erlangt), ein Spiegel, ein Mord, keine Leiche, ein Pianist, ein Fotoapparat. Und natürlich Emily, das im Schweinestall aufgewachsene Mädchen. Und die Baronin, die sie findet, zum wahren (ergo dienenden) Menschen formen will und diese Aufgabe ein wenig unterschätzt.

Deutschsprachige Erstaufführung am Mittwoch, dem 10. Oktober 2001.

Kritiken

Esslinger Zeitung | 17.10.2001

Starke Schauspielerinnen

»Florian Dehmels Inszenierung [setzt] ganz auf die Körpersprache der beiden starken Schauspielerinnen Gunda Schanderer und Zülfiye Arslan, die ihre Rollen mit dynamischer Präsenz gestalten. Schanderers Baronin zeigt sowohl die Abgründe ihrer verkorksten Klassenzugehörigkeit mit deren machtbesessenen und sadistischen Momenten wie auch die Sehnsucht nach Wärme, Gefühl und einfacher Menschlichkeit. Die schwierige Darstellung der allmählichen Verwandlung aus einer animalischen Kreatur zum sprechenden Individuum bewältigt Zülfiye Arslan fast ohne Peinlichkeit. Für einige Szenen scheint Truffauts ›Wolfsjunge‹ als Vorbild gedient zu haben, doch wird der Ernst der unfreiwilligen Erziehung durch ironische Distanz durchbrochen. Die wird auch in der Musik des Pianisten Bobbi Fischer deutlich, der die romantische Klavierliteratur plündert und zu einem Potpourri verarbeitet, um die Stimmung der jeweiligen Bilder im Stil einer Stummfilmbegleitung zu unterstreichen.

Ein utopisches Bild steht am Schluss der Aufführung. Emilie und die Baronin, der Klavierspieler und der Beleuchter (Jusuf Gulevski) feiern ein Freiheits-Picknick inmitten der Zuschauer. Dabei wird Türkisch und Russisch und Deutsch parliert, ganz wie es einem mulitkulturellen und ohne gewalttätige Hierarchien zusammen lebenden Ensemble wie dem der Tri-Bühne entspricht…«

Dietholf Zerweck
Stuttgarter Nachrichten | 12.10.2001

Entlarvend

»Die Ursachen für den Hass der Terroristen sind vielschichtig. Er richtet sich mit Sicherheit aber auch gegen die Tradition der Herablassung der abendländischen Gesellschaft gegenüber der islamischen Welt. Vor diesem Hintergrund bekommt das von der tri-bühne als deutschsprachige Erstaufführung gezeigte Stück ungeahnte Aktualität…

In der tri-bühne sitzen sich die Zuschauer gegenüber. Mit Blick auf die an eine Wand projizierten Untertitel der vierzehn Kurzszenen des Stücks, die Regisseur Florian Dehmel auf Stephen Cranes fliegendem Bühnenteppich in der Manier des Stummfilms ablaufen lässt. Als Ausdruck eines zivilisatorischen Anspruchsdenkens von gestern, angesichts dramatischer weltweiter sozialer und ökologischer Probleme. Die Inszenierung überzeichnet gekonnt grell und entlarvt damit die häufig hinter dem Schein humanistischen Tuns versteckte Suche nach dem eigenen Vorteil…«

Horst Lohr
Reutlinger Generalanzeiger | 12.10.2001

Kurzweilig

»In der Mitte des Stücks fällt das entscheidende Wort. Die Sau sagt zum ersten Mal: ›Ich‹. Und mit diesem Wort beginnt sie der Baronin ebenbürtig werden. Aus dem Tier wird ein Mensch…

Was auf den ersten Blick wie ein Stück über die erzwungene Wandlung eines primitiven zu einem dienenden Menschen anmutet, das entpuppt sich auf den zweiten als eines über die Metamorphose einer bornierten, angeheirateten Adligen zu einem denkenden und fühlenden Menschen…

Regisseur Florian Dehmel hat die in Kapiteln rückblickend erzählende Handlung routiniert und mit Sympathie für beide Charaktere eingerichtet… So ist ein kurzweiliger und vielleicht sogar lehrreicher Abend entstanden.«

Bernd Krause
Südwestdeutscher Rundfunk | 11.10.2001

Hinreißend gespielt

»Wie kommt eine Baronin zu einer Sau? Ganz einfach: Sie verfährt sich, fragt an einem Bauernhof nach dem Weg und findet im Schweinestall ein halb vertiertes Wesen, ein Mädchen, eine Kaspar-Hauserin, die sie sogleich zu retten und zu ihrer Zofe zu machen beschließt…

Zülfiye Arslan kriecht auf allen Vieren erbarmungswürdig komisch herum. Wir sehen ihr zu, wie die Sau den aufrechten Gang lernt und von Baronin Gunda Schanderer in Façon gebracht, das heißt ins Mieder gezwängt wird. Die Adelige bringt dem Untermensch(en) die ehernen Grundlagen jeder höheren Zivilisation bei: Tisch decken und Besucher anmelden. Messer, Gabel und das Tablett für die Visitenkarten als ein über jede Sau erhabenes Standessymbol. Je höher Emilie in die Kultur aufsteigt, desto tiefer sinkt die Baronin hinab. Sie entlarvt die edle Erziehung als neue Unterwerfung und sich selbst als dressierten Schmarotzer, abhängig von leeren Ritualen und einem nie auftretenden Baron, dem wahren Schwein in dieser hohlen Dekadenz.

Florian Dehmel hat das Stück in kurze, lehrbuchhafte Szenen gesetzt. Jede Lektion hat ihre eigene Pointe, ihren tragischen Witz. Die beiden Frauen spielen hinreißend, Emilie besonders in ihrer saumäßig komischen Paraderolle…«

Winfried Roesner